Es ist wie eine Zugfahrt von A nach B, nur etwas anders, nämlich, dass ich an diesem ersten warmen Frühlingstag auf meinem Balkon sitze und die Welt von oben betrachte. Wie Heuschrecken treideln die Menschen am Ufer entlang. Dauerläufer, Missmutige, Rassen, Gattungen und Hunde, Katzen, die ihr Geschäft erledigen. Sie alle bewegen sich nicht einfach nur so, sie strampeln, laufen und walken unter diesem, unseren Himmel, wie der Staub auf dem geölten Parkettboden, als wenn es keinen Morgen mehr gibt. So schnell tickt nicht einmal die Uhr, wenn wieder auf Sommerzeit umgestellt wird. Sie schieben die Fahrräder die Kinderwagen und die Familien vor sich her, Hunde bellen, Kinder schreien, junge Burschen liegen im Gras am Wegesrand, es sind fremde Gesichter, die misstrauisch erscheinen, weggeworfene Zigarettenstummel und Unrat bilden den Rahmen für dieses nachmittägliche Szenario. Es entsteht der Eindruck, als würde ein Film vorgespult.
Das Straßenbild hat sich verändert, heute wird sonntags nicht mehr flaniert, heute wird trainiert, um den Körper gesund zu erhalten. Leistungsfähig heißt das neue Zauberwort. Manchmal möchte ich die Menschen fragen, wie sie sich fühlen, wo sie herkommen und wo sie hingehen, ob sie noch einen Traum haben oder ob sie nur ihre Zeit totschlagen. Jeder von ihnen eilt am Nächsten vorbei, als wäre es ein Feind. Fremd sind sich alle in der Stadt. Im Café, an der Brücke längs des Flusses, hungern die Gäste nach einem freien Platz, wie die Kellner nach dem Geld. Lauf Kaffee lauf! Grad gestern war ich dort. Viele Gäste schauen still und renitent auf ihre Teller, einige verstecken sich hinter der Zeitschrift und etliche Ankömmlinge stehen auch nur mit ihren großen Sonnenbrillen am Tresen und sind mit sich beschäftigt. Man ist dort nie und nicht allein, man ist wenigstens viel unter Fremden. In diesem Café geht es anständig zu, man isst und trinkt nicht mit jedem Kumpel, der die Brüderschaft am nächsten Tag vergessen will. Der Klaus bleibt anonym.
Nur manchmal werde ich das Gefühl nicht los, dass ich ein Igel mit stichigen Nadeln bin, mein Blick ist offen und im nächsten Moment verklärt, und nur mein freundliches Lächeln zwingt manchmal einen Gast an meinen Tisch. Für eine vereiste Miene, einem Totentanz am Tisch und die trockene Gewissheit, dass sich das Blatt auch in den nächsten Momenten nicht mehr wenden wird, bezahle ich Achtzehn Euro Fünfzig. Und dann kommen die ganz Schlauen, die Gurus, die noch einen letzten Groschen in unserer Tasche vermuten und meinen, dass man das Einsamkeitspotenzial mit ihrer Hilfe überwinden kann und dass emotionale Selbstkontrolle und die Fähigkeit zur Selbstreflektion der Einsamkeit effektiv entgegenwirken oder sie sogar verhindern kann und dass eine weisere Gesellschaft auch eine glücklichere und weniger einsame Gesellschaft sein kann. Ja wie denn, wo denn, was denn? Sind wir alle dumm und am Verblöden? Müssen wir auf den Tischen tanzen, ein Feuerwerk entzünden oder Kasper spielen. Dann hätte sich die Mühe wohl gelohnt und danach gehören weggesperrt.
In solchen Momenten bin ich froh, wieder zu Hause zu sein und wenn man von innen nach außen schauen kann. Ein Kaffee in der einen, die Kuchengabel in der anderen Hand und das bei vollem Sonnenuntergang. Zuhause auf dem Balkon darf es denn auch mal bequem sein. Das Radio drehe ich lauter, damit auch die anderen Mieter etwas davon haben, ich genieße mein Himbeereis, ich fühle mich heimelig und betrachte das Ganze als Panoptikum. Morgen ist Montag, dann bin ich wieder mein eigener Chef und wieder ICH, im Denken, im Fühlen und Handeln. Und warum das so ist, ist nicht mehr wichtig.
Schreib liebe Stephanie, schreib! Es macht großen Spaß Dir zu folgen. Ich vollziehe deine Gedanken, deine Eindrücke nach und dort wo du Stolpersteine in meine Laufrichtung wirfst, mache ich einen Hopps drüber, drehe mich um und…. sehe keinen Stolperstein mehr. Wie schön. Du bist eine Zauberin. So empfinde ich dich. Ich will Dir folgen.