Das 100-jährige Haus galt als verbaut, verwinkelt mit sichtbaren Mängeln und als imaginäre Kriegserklärung an mich. Doch gerade deshalb verführte dieses Siedlungshaus in seiner Daseinsform, eine Bühne der Superlative zu werden, bevor der Fingerabdruck seine letzte Grenze aufzeigt. Zwischen einer Reihe von ansehnlichen Grundstücken stand es, als wollte es aufbegehren, sich wehren und gegen einen Verkauf opponieren.
Jene Entscheidung stellte sich als ein organisches Hineinwachsen in neue Bedingungen dar, als Sprung ins kalte Wasser, als innerer Zwang, dem man nicht entrinnen konnte. Ohne Hilfe, ohne Plan und ohne Bauleitung lehnte sich dieses Vorhaben jedoch an einen seidenen Faden, der in seiner Stofflichkeit das Konzept ausgliederte. Ich brauchte Hilfe.
Super Sache dachte ich, als ein weißer Caddy mit der Aufschrift „Alleskönner“ an einer roten Ampel neben mir hielt. Zeigte er doch zumindest die Verfügungsbefugnis und die Verantwortlichkeit in seiner ganzen Pracht. „Malerarbeiten – Sanierungsarbeiten – Trockenbau“.
Blitzschnell und intuitiv entschied ich mich für eine sofortige Kontaktaufnahme, in deren Folge wir an der nächsten Tankstelle mit einem Handschlag den Termin zur ersten Besichtigung besiegelten. Der Mensch, das einzig unergründliche Wesen, in seiner Auffälligkeit, Dinge schnell haben zu wollen, bevor sie ein anderer wegnimmt, begeht meistens einen dummen Fehler. Doch erfordern besondere Umstände manchmal außergewöhnliche Entscheidungen. Und wenn man die Wahl hat, entscheidet man sich für das vermeintlich kleinere Übel. Ist die Wahl dann gefallen, entwickelt sich das Ganze oft zum Fiasko, welches den ganzen Rest von guten Elementen aufzuheben scheint.
In diesem Falle kam das Unerbittliche wie eine Woge auf mich zu, das von anderem Ehrgeiz Beseelte, der Schlag Macher, der nach allen äußeren Anzeichen, Zweifel und Unruhe unter die Menschen trägt, der verhöhnt, bleckt und des Menschen Würde untergräbt, wann und wo immer es möglich ist, so verschlagen, als würde er aus einer unerschöpflichen Quelle Kraft sammeln, die reichen sollte, ein ganz besonderes Kunstwerk zu schaffen.
Am Anfang war das Huhn, oder doch das Ei? Nach Freud kommt Leid, oder umgekehrt? Die Zweifel an der Richtigkeit meiner Entscheidungsfreudigkeit nahmen zuweilen eine extreme Schieflage an. „Zambano der Alleskönner“, der scheinheilige Schutzgelderpresser, auch in seinen Kreisen „kahlköpfiger Hulk“ genannt, weder Fisch noch Fleisch, dessen Ganzes bis zum Schluss natürlich unscharf und unüberschaubar war, stellte mir dann zeitnah den ersten aus dem Schwarm der arglistigen Fachmänner vor. Nennen wir ihn Franz, ein fliegender Holländer in Drogentherapie, der seinen fortwährenden Graskonsum nur für einen Pinselstrich unterbrach, gefolgt von einem Künstler, einem Str(e)icher an der Schwelle zum Phantast, der dem Leiden unter den eigenen Ich-Defiziten zu entkommen versuchte und sich nicht scheute, Farbreste und Tapetenkleister hinter dem Schrank zu verstecken. Beide verrichteten mit einem vorgetäuschten Eifer ihre dilettantische Arbeit und schöpften mit geringem Aufwand den Rahm ab, welcher trotz Aufforderung, noch immer rechnungslos blieb. Sie kannten weder Schuld noch Verantwortung, aber in ihren wuchs jener furchtbare Egoismus, den man jenen zuschreiben kann, die weder moralische Werte, noch bloße Gefühls-Verbindlichkeit kennen.
Ihre Lustlosigkeit, die Zeit der verdrießlichen Arbeit, wich neuer Spannung, als Franz, der geborene kleine Verschwörer, keine Gelegenheit versäumte, Keller und Boden zu filtrieren, um sein Geschäft mit dem Hanfanbau zu forcieren. Gut sollte es mir gehen, reich sollte ich werden. Seine Unverfrorenheit bekam noch mehr Prägung, als er gleich darauf mit einer Flasche Massageöl mein Leben versüßen wollte, sozusagen als Zugabe für seinen Pfusch am Bau. Mit einem verbitterten und schmerzlichen Geräusch, welches das Blut erstarren lässt und an Eselsgeschrei vor einem Gewitter erinnert, setzte ich ihn geradewegs auf die Straße.
Die Zeit arbeitete gegen mich, alles stagnierte, meine Bedürfnisse und Kanäle konnten nicht gleichzeitig bedient werden. Ich schlief so gut wie gar nicht mehr, meine Gereiztheit gegenüber allen und allem bekam Fahrtwind und die Verzweiflung Oberhand. Dieses Schlingern um die Obliegenheiten brauchten Zeit, viel Zeit, in denen es so gut wie keinen Platz für andere formgebende Handlungen gab. Die Kehrseite einer solchen Situation erforderte eine schnelle Anpassung an äußere Umstände, ich war neu in dieser Stadt und mein Aufenthalt in Leipzig sollte nur kurzfristig sein. Dazu kommt meine Leidenschaft, über die ich nur ungern spreche, es ist das Traumata seit meiner frühesten Jugend, alles in kurzfristiger Zeit erledigt zu wissen, selbst Hand anzulegen, herzurichten und zu verändern. Leider stoße ich damit zunehmend auf Missbilligung.
Wenige Wochen später nahm „Alleskönner“ erneut die Witterung für das nächste Kulturprogramm auf. Auf seiner Agenda standen Wanddurchbruch, Fußbodenarbeiten, Elektroarbeiten, Sanitärarbeiten im Erdgeschoß und eben das, was so ein Bau erfordert. So stand ich nun mit dem Angebot in der Hand, mit einem leidenden Selbstgefühl eines gescheiterten Stars, den niederträchtige Reporterintrigen seines großen Auftritts beraubt haben und willigte mit Argwohn wenige Wochen später noch einmal ein.
Es ist wie ein Glücksspiel, wenn man verliert, macht man weiter, blind, es beginnt mit einem Trigger, einem von außen kommenden Auslöser. In diesem Falle war es das unmittelbare Umfeld in dem ich lebte und das war fern jeglichem Ausdruck und Realität. Das vermeintlich „Erlösende“ setzte zu diesem Zeitpunkt einen verheerenden Teufelskreis in Gang. „Alleskönner“ kam jeden Morgen, ohne dass etwas Nennenswertes geschah, er ließ keinen Zweifel offen, dass der Selbstlauf die entscheidende Rolle übernehmen sollte Der Oktober kam, der Dezember begann und die Fertigstellung war noch vor Weihnachten geplant.
Nur gelegentlich arbeiteten von Anbeginn in seinem Auftrage Malermeister Sch., Elektriker R, Trockenbauer D. und einige andere, mit denen er nicht nur die Stunden abrechnete, sondern auch andere kleinere Schweinerein rund um das Baugewerbe. Es war eine Seilschaft, in der jeder von jedem etwas bezog, alle etwas wussten und jeder jeden belog und betrog. „Halb und Halbe verderben alles Ganze.“ Jammernd standen sie da, alle flehten um das Geld, dem einen drohte das Finanzamt, dem anderen die Frau, der dritte war notorisch pleite und der vierte zockte so richtig ab. Niemand fühlte sich für die Arbeiten verantwortlich, keiner nahm es genau und nicht einer hielt sich an Vereinbarungen. Die Bauabschnitte liefen unkoordiniert und damit nicht genug, das Material wurde so üppig eingekauft, so dass man noch ein weiteres Haus hätte bauen können. Malermeister Sch. war ein vollmundiger Märchenerzähler, dem man im Mittelalter die Zunge abgeschnitten hätte. Es fehlen wahrlich die Worte darüber zu schreiben, denn seine Methoden waren von unglaublicher Natur. Weder kam er wie versprochen früh, noch war er mittags erschienen, weder montags, mittwochs, noch freitags, er kam mal so, mal so, wie es im gerade passte, und wenn er dann unerwartet und kurzfristig auftauchte, lächelte er seine Unverfrorenheit mit einer Handbewegung fort. Nun ist Malermeister Sch. endgültig mit einer Eisscholle im offenen Meer versunken, seine Maschinen, die unzähligen Farbeimer, Lappen und Reste warten im Keller auf ihre Wiedergeburt und auf die nächsten ahnungslosen Kunden.
Ferner nahmen es die Burschen mit der Hygiene nicht so genau. Das Waschbecken im Keller benutzen Sie für ihre Notdurft und das Baumateriel versteckten sie zwischen den Ölbehältern im Keller. Der Oberhäuptling „Alleskönner“, der räumte ganz ordentlich ab, für das, was andere nur zur Hälfte taten. Die Container standen zum Spektakel mehrere Tage nutzlos auf dem Hof, die Rechnung dafür, die bezahlte ich. Der Sturz entsprach nicht der Vorschrift, er liegt noch immer im Garten hinter dem Haus, die Trockenbauwände im Bad sind unbehandelt und das Vinyl löste sich schon, als Trockenbauer „D“ das Haus mit seiner Moral verließ. Der Elektriker legte die Kabel nicht richtig und die Steckdosen liegen blank. Die Sicherung fällt heraus, wenn zwei Stromquellen gleichzeitig laufen.
Ach, welch edle Beredsamkeit entströmte diesen, ihren Lippen, und mit welcher Verlogenheit sie mit zuckrigen, schleimigen Worten bedingungslos um die Moneten feilschten. Diese kranken Seelen, diese Charaktere mit ihren leer-geschwätzigen Aussagen, schöpften verschwenderisch aus nahezu unversiegbaren Vorräten an Vorwänden, um ihre Arbeiten endlos hinauszuschieben. Was wollten sie eigentlich? Die Gerechtigkeit, die Weisheit, die Überlegenheit wenigstens darstellen, das ist der Ehrgeiz dieser Zweckschicht, dieser physiologisch Verunglückten. Und wie geschickt sie das machen, ihre Falschmünzer-Geschicklichkeit für sich in Pacht zu nehmen und wie sie danach dürsten, betrügerisch jedem das Letzte zu nehmen. Es lässt sich vorauserraten, daß wir ihnen hier mit einer fast befremdlichen Ausgestaltung begegnen und sie bereits Jahrzehnte ihre langen Geschichten hinter sich haben.
Inzwischen ist ein halbes Jahr vergangen, wir schreiben Anfang Mai, das Leben auf der Baustelle ist für mich zur Gewohnheit geworden, ich lebe noch immer mittendrin. Nichts ist fertig, nichts in Ordnung und nichts ist wirklich passiert.
Weg sind dreißigtausend Euro für nicht geleistete Arbeit. Bisher hatte ich die Menschen nur nach ihrer Ausstrahlung beurteilt, jetzt, nach dieser unerfreulichen Überraschung erlosch gewissermaßen der Begriff Vertrauen. Zwischen zwei Welten, Verlass und Täuschung, manifestierte sich die subjektive Wahrnehmung, dass das Erscheinungsbild eines Menschen, seine Worte, Meinungen, Handlungen, Sympathien und Abneigungen noch längst nicht er selbst ist, sondern meistens nur der Widerschein von etwas oder von jemandem, der unveränderlich bleibt.
Zunehmend wurde ich neugierig und fing an, auf die Menschen zu achten, inbrünstig und auf jeden einzelnen. Ich trat jedem Menschen so aufmerksam gegenüber, wie sich der Astronom vor das Fernrohr setzt, im Besitz mathematischer Formeln untrüglich wissend, dass hinter den Nebelflecken im gegebenen Augenblick eine ungewisse, eine neue Welt erscheinen wird.
Wahrscheinlich machen sie weiter, so wie früher, wie davor schon, über Jahre, und es wird sicher noch viele Opfer geben, die Beute, die Kranken, dieses vermoralisierten Zeitgeschmacks. „Misstrauen wir vor allem unseren ersten Regungen.“ Wie behauptete Goethe einmal: „Es gäbe nur sechsunddreißig tragische Situationen.“ Man muss nur Geduld haben und darauf warten.
Im Nachhinein hat es den Anschein, als wären diese Monate das längste Märtyrium in meinem Leben gewesen.
Gern nenne ich Namen und Adressen für die Interessenten, die tüchtige Handwerker suchen.
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