CORONA

Es fühlt sich an wie Weihnachten. Zeit der Besinnung, Zeit für sich selbst und für das Wesentliche, die Dankbarkeit an die Erde, auf der wir leben dürfen. Wir sind in der Ruhe angekommen, kein Hasten, kein Streben, keine Eile und nur noch wenige, die über Social media Plattformen Einblicke aus ihrem gepushten Leben breitfächern.  Es ist stiller geworden, auch um diejenigen, die erpicht sind, einen Mangel beim Nächsten zu finden, um ihn mit einem roten dicken Ausrufezeichen zu markieren, unterschwellig damit ihr Machtbedürfnis zu präsentieren. Man könnte meinen, der Wolf im Schafspelz schlummert andächtig vor sich hin. Nur gelegentlich hebt er seine Pfote, um sein Dasein zu rechtfertigen.

Dass dem nicht so ist, beweisen die Machtkämpfe zwischen den Politikern, die wichtige Entscheidungen drosseln und mit desaströsen Maßnahmen punkten wollen, wo sich der gesunde Menschenverstand teilt. Mir kommt hier gerade der 1,5 m Abstand bei den Friseuren in den Sinn, so auch die uneinheitlichen Regelungen zwischen den Ländern in Deutschland. Noch immer heißt es: Es wird erwogen, es wird geplant und es wird beraten. Hier sollte eine Einheitlichkeit geschaffen werden, die dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) flächendeckend angepasst wird und vor allem auch, welche Ausnahmen es im Einzelnen geben darf. Schluss mit Lustig. KURZ und gut, basta ist für mich ein beispielloses Handeln. Hier wurden bundesweit einheitliche Maßnahmen gesetzt und weiter fortgesetzt.

Selbstverständlich steht dieses „Zuhausebleiben“ im Schatten unseres gewohnten sozialen Lebens, das jeder von uns vermisst und Auswirkungen haben wird. Denn Freundschaft ist wie Heimat, so schrieb es Kurt Tucholsky. Es tut weh, wenn man sie verliert. Freundschaft sei das Einzige auf der Welt, über dessen Nutzen sich alle Menschen einig sind, das wusste auch schon Cicero. Nicht jeder erträgt das Alleinsein für unbestimmte Dauer, der Verzicht auf andere Menschen ist eine große Herausforderung, da wir ein Teil einer hypersozialen Spezies sind. Dort, wo wir gerade sind, spüren wir einen gewaltigen Sog der Leere, und niemand hat uns die Dekompressionskammer zwischen gestern und heute zur Verfügung gestellt. Alles wird gerade auf den Kopf gestellt, besonders die Kategorie Nähe, Vertrautheit, Spontaneität, es fühlt sich an wie ein Blatt weißes Papier, das beschrieben werden will, aber die Tinte fehlt. Aber sollen wir jetzt still die Hände falten und das Schicksal preisen? Mit anderen Worten: Wir wollen weiter leben, anstecken lassen von einem unerklärlich Schönen, Aufregenden und von irgendetwas Fremden. Denn jeder Tag hat das Potenzial, neue Menschen zu treffen, mit denen man das Glück verdoppeln und das Leid halbieren kann.  Es braucht ja meist eine Zäsur, um sein Leben aus der Vogelperspektive zu betrachten und Inventur zu machen. Und wir sollten gerade jetzt im Alltag darauf achten, dass diese automatischen feindseligen Reaktionen auf Bedrohung uns nicht beherrschen. Ich mache mir gerade Gedanken darüber, auf minimalistische Art und Weise der werbenden Strömung entgegenzuwirken. Gegenwärtig entferne ich alles Überflüssige, also aufräumen im Innen und in einem momentan verdammt anstrengenden Außen. Ich brauch keine 12 Tassen und Teller im Schrank, auch keine 12 Schüsseln und Schalen mit und ohne goldenden Rand.  Besuchen wir doch mit liebgewordenen alten und neuen Freunden nach Corona wieder heimische Gaststätten, bleiben wir dort, wo wir wohnen, denn es gibt nicht nur die Fledermaussuppe in China. Ich mache mir Gedanken darüber, wie ich meine Einbahnstraßenkommunikation einstelle, wenn keine Erwiderung aus der Ferne kommt, denn das deutsche Alphabet besteht aus 26 Buchstaben, 3 Umlauten und eine Ligatur (ß).  Ich mache mir Gedanken über mein Leben auf unbestimmte Zeit. Ich mache mir Gedanken über allen Überfluss in den Geschäften auf dieser Welt. Sǿren Kierkeraard sagte einmal: „Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.“

Auf eine Zeit, die vor uns liegt, in der wir verstehen, was wichtig und unwichtig ist.

3 Comments

  • Jj Snider März 25, 2020 at 1:47 pm

    Ja, das ist eine treffende Beschreibung so mancher Stimmungslage. Ich genieße diese Auszeit, oktruiert zwar aber ob sinnvoll oder nicht werden wir erst später fahren. Ich genieße dieses Slow down, es fühlt sich an als würde ich kochen. Stundenlang auf kleinster Flamme garen und dabei einen schönen gehaltvollen Tropfen Weines über meinen Gaumen fließen lassen. Dazu die Sinnesorgane ermutigen mehr zu empfinden als da ist. Einfach mal geschmackvoll überdrehen. Ja, ich kann dir zustimmen die sensible Wahrnehmerin des Unglaublichen.

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  • Simone Siemers April 19, 2020 at 5:53 am

    Sehr schön und treffend geschrieben…es hat Spass gemacht und zugleich nachdenklich es zu lesen…vielen Dank dafür

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