Sarastro

Die Göttertränke auf einladende Art

Es geht um die innere Freiheit, einfach losfahren, anhalten, wo man will, weiterfahren, wann man will. Mein Zuhause war Deutschland, so wie es früher einmal war. Heute ist es Österreich, so wie es jetzt ist. Ich denke,  Sie verstehen mich. Aber nein, es war nicht alles schlecht.

Unsere Herkunft ist keine Frage der Entscheidung, wir haben sie einfach, und sie prägt uns. Wir sammeln unsere Erfahrungen und entwickeln im Laufe des Lebens einen eigenen Rhythmus und bestimmen, was wir daraus machen. Mich z.B. interessieren Menschen, die etwas bewegen, ihre Einstellungen, Bedürfnisse und ihre grundsätzlichen Motive und diejenigen, die die Courage haben, zu sagen: „Viel probiert, viel passiert, viel abverrreckt und vieles auch gelungen.“ Menschen, die den Anspruch erheben, mit der eigenen Feder Literatur herzustellen oder die, die mit der Farbe auf der Leinwand eine Brücke zur Außenwelt schlagen. Macher eben, die sich nicht nur selbst genügen und nicht darauf warten, vom Gnädigen da oben geadelt zu werden. Ich mag Ordnung in meinem Leben, auch wenn sie sich manchmal versteckt und ich lange danach suchen muss. Manchmal etwas vom alten Leben und etwas in meinem neuen Leben, ein Stück Vertrautheit, ein Stück Hoffnung und die Freiheit, die ich mir nehme. Hier halte ich es mit der Maxime von Jean-Jacques Rousseau: „Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern das er nicht tun muss, was er nicht will.“ Viele gelten ja als Kritiker, wenn sie die Wahrheit aussprechen und als Spinner, wenn sie vom ganz großen Erfolg träumen. Und tatsächlich, dieses Paradoxon löst für viele unterschiedliche Auslegungen aus. Und jedes hat seine eigene Geschichte. Früher trug man den Anzug, das Kleid und die gut geputzten Schuhe wenn man sonntags ein Lokal betrat, heute trägt’s man sportlich, da sieht man schon einmal die haarige Wade, das Trägerhemd, hinten den Rucksack und vorn das Kind an der Brust.

Sprechen wir heute von der neuen Freiheit, ist die Gier das Problem unserer Zeit, wenn Touristenschwärme die Cafés durchfluten und die  Schweißdrüsen des schwitzenden Nachbarn uns zum Platzwechsel zwingen? Sind ausladende Spielecken und stillende Mütter am Tisch die neuen Projektionsflächen für Dichter und Denker? Was macht den Unterschied zwischen Hochkultur und passiver Kultur? Und wo ist hier die Zensur? Darf ich mich auch im Lokal entblößen, nur weil ich mich schön finde und nach dem Kellner mit dem Finger schnipsen?  Diese aufkommende innere Abneigung verstellt in mir den Blick auf dieses Kapitel und mit staunenden Augen beobachte ich, wie aus dem Formgefühl die Überhebung entsteht. Aber holen wir uns doch lieber einmal im Jahr ein kleines Stück von Nostalgie zurück und freuen uns auf die Salzburger Festspiele, trendig ist Farbe, wenngleich sie manchmal an die Oktoberfest-Spaßgesellschaft erinnern. Ich möchte sie noch genießen, die schönen kurzweiligen Momente des Augenblicks, die einem manchmal wie eine Ewigkeit vorkommen, ein kleines Stück Stabilität mittendrin, ohne Gezappel und Gezeter.

Aber wo findet man im Alltag noch  so ein kleines Paradies? Auf der Alm mit Heidi vielleicht oder auf dem offenen Meer, wenn man dahintreibt wie ein toter Fisch? Das Internet, die Werbung und einschlägige Magazine sind voll des Lobes mit kulinarischen Leckerbissen in konvenablen Restaurants. Aber sieht es kompakt und zuverlässig in Wahrheit denn wirklich so aus? Und darauf kommt es schließlich an. „Wie heißt es doch: „Wer sucht, der findet“, ja der findet auch „das Haar in der Suppe“. Und ein paar Kröten sind immer dabei, aber wir müssen sie ja nicht hinunterschlucken, wir dürfen sie wieder ausspucken. Oft sind es die gastronomischen Stolpersteine, die in bunten Blättern nach ihrer Kundschaft suchen und nicht die, die mit ihrer unversehrten Herrlichkeit als Geheimtipp gelten. Und gerade die suchen wir doch, diese andere Seite, die eine Körperhälfte, das brillante Profil in der Gastronomie, wo der Gast noch König ist und auch so empfangen wird, wo die Annehmlichkeit das Wohlfühlen ergänzt. Den einen unaufhebbaren Bestandteil des Moments, die Vollendung des Gegenwartsgefühls.

Auf geradem Wege fand ich dieses Café, welches meinen Eindruck verstärkte, hier muss ich hinein und „Hier bin ich Mensch, hier darf ich‘s sein.“ –  wie Goethe es im Faust formulierte.

Maximilian übte sich beim Eintreten in einer noblen Distanz, die es ausmacht, sich nicht als geduldeter Single zu fühlen, der mit einem Gähnen an den Katzentisch neben der Toilette  platziert wird. Ich bin keine Katze und auch keine Frau, die nach Sternschnuppen sucht, bei weitem nicht. Das Einzige was ich sehe und mir langsam aber sicher entgegen kommt,  ist die Fünfzig und da bin ich nicht gerade scharf darauf. Was folgte, war eine  stumme Einladung zu einem Tisch mit bestem Blick in den öffentlichen Raum, der sich in eine Art Catwalk verwandelte und die Unverkrampftheit des Kellners, der seinen Job als Handwerk verstand.  In dieser Kurzweiligkeit durfte ich feststellen, dass dieses Haus den Anspruch erhebt,  Aufenthaltsort und Treffpunkt zu sein, um die Bindung mit neuen Gästen zu vertiefen. Denn was wäre denn, wenn ich mich irgendwie verloren gefühlt hätte mit meiner Einsicht, dass die fruchtbare Einsamkeit am Tisch auch so etwas wie eine Selbsterkenntnis ist? Der Matsch wäre garantiert! Und irgendwie fühlte sich plötzlich das „Jetzt“ wie der Beginn einer neuen inspirierenden Jahreszeit an und dass jeder neue Anfang gerade einfacher wird, wenn auch nur aus einem Grund, das Lokal bei nächster Gelegenheit in heiterer Gehobenheit wieder zu besuchen. Die Tage werden länger, die Nächte wärmer und es werden sich Dinge unter und über der Erde rühren, die uns glücklicher, erfahrener und neugieriger machen. Sarasto, auf Dich, auf Maximilian und auf alles das, was Sinn und Unsinn macht.

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