Die Reise zum Ich

Morgen gehe ich mich besuchen. Hoffentlich bin ich zu Hause.

Sicher verstehen Sie, was ich meine? Diese Worte sprach einst Karl Valentin, nur wenige werden sich daran erinnern. So verrückt er sich auch anhört, so bedeutungsvoll ist sein Sinn.

In der Jugend wollen viele Menschen möglichst wenig mit sich zu tun haben. Und erstaunlich vielen gelingt es, einen großen Bogen um sich selbst zu machen. Statt mehr in sich zu gehen, ihre schlummernden Talente zu entfalten oder aber sich bewusst zu machen, welcher Weg für sie der bessere ist, sind Unterhaltung, Abwechslung, Ablenkung angesagt. Diese Lebensstrategie lässt sich unbekümmert bis über die Lebensmitte hinweg praktizieren. Auch wenn gelegentlich die Frage aufflammt „War das schon alles?“ – wird sie erfolgreich weggeschoben. Wozu darüber nachdenken, wenn es so wie es gerade ist, am besten scheint. Und irgendwie wird schon alles werden. Das  Gruppenfreizeitverhalten unter Jugendlichen ist abstrakter geworden. Sie „chillen“ in Shoppingmeilen und McDonald’s und Co. werden zu externen Schulmensen. Sie treffen sich mit gleichaltrigen Freunden und steifen ohne festes Ziel durchs Zentrum, um einfach nur präsent zu sein. Hier wäre viel Platz für pädagogische Arbeit.

Je mehr Jahre sich aber im Leben aneinanderreihen, umso lauter werden die inneren Stimmen. Sie drängen zum Nachdenken. Das Lebensalter zwischen 40 und 55 ist eine Zeit des Wandels, in der viele anfällig sind für einen Zustand, der mit “Midlife-Crisis” gar nicht so schlecht beschrieben ist. In der Mitte des Lebens realisieren viele, dass sie in Bezug auf Familie und Beruf nicht mehr unendlich viele Möglichkeiten haben, dass ihr Körper älter wird – und älter aussieht – und dass das Leben irgendwann vorbei sein wird. Sie kommen in die Wechseljahre. Muskeln schwinden, dafür nehmen Fett, graue Haare und Falten zu, das ganze Programm. Plötzlich fallen einem Namen nicht mehr ein, und wo steht noch mal das Auto? Ob die Lebensmitte zur Krise wird oder zum entspannten Verweilen auf einem Hochplateau, kann jeder selbst beeinflussen.

Spätestens im Ruhestand kommen  sie nicht länger darum herum, die Kunst  zu erlernen, sich mit sich selber anzufreunden. Denn die Möglichkeiten der Zerstreuung werden kleiner, die Beweglichkeit und Flexibilität, vor sich selbst davonzurennen, lassen nach. Sterben die Eltern gar, bekommt man schnell einen anderen Blick auf das Leben und fühlt sich als der Nächste in der Reihe – zwischen einem selbst und dem Tod gibt es niemanden mehr. Bei vielen ist zudem die Beziehung zum Partner in die Jahre gekommen. Die Abende werden dadurch länger, die Nächte dunkler. Wer jetzt nicht bei sich zu Hause ist und gern mit sich zusammenlebt, wird die späteren Jahre als Last empfinden – und nicht als Gewinn. Zu einer Krise müssen solche Erfahrungen nicht führen. Wichtig ist es, zu unterscheiden, welche Veränderungen man hinnehmen muss und wie wir der einschläfernden Routine entgegenwirken.

Deshalb sollten wir uns rechtzeitig  auf den Heimweg zu uns selbst machen. Mit guten Wegweisern können wir ihn nicht verfehlen. Wenn wir abschließend auch nicht jede Frage auf unserem Lebensweg beantworten können, so führt sie uns doch auf die richtige Spur. Auf ein gutes Stück weiter nach vorn.

 

 

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