Herbst des Lebens

Wenn wir uns mit dem Thema „Älterwerden“ befassen, drängen sich geschäftstüchtige Spezialisten, Aufräum-Gurus, Reiseunternehmer und Seniorenresidenzen par excellence in das Bild, um das mager gewordene Dasein der späten „jungen Alten“ zu erhellen. Auch die Pharmaindustrie, die mit ihrer Psychopille verspricht, sie sei heilsamer als eine gesunde Leberwurst,  lässt keinen Zweifel über den moralischen Verfall. Die Ausführungen werden mit Hochrechnungen, Statistiken und Vorsorge geschönt,  um das kapitalistische Spiel zu unterfüttern. Doch die Realität hält viele Facetten im Verborgenen, die mit diesen Ermunterungen nicht senkrecht starten will. Altersarmut- Aus die Maus!

Alles das, was geschrieben, abgeschrieben und hingeschrieben feilgeboten wird,  ist nun mal nicht von einem Menschen auf den anderen übertragbar,  wie eben auch die  Daten von Mac OS und Windows, nicht miteinander kompatibel von einem System in das andere überführbar sind.

Es gibt die einen, die amphibischen Menschen, die noch  über alle geistigen, materiellen und kulturellen Fähigkeiten verfügen und die anderen, die eben nicht frei flottieren können und sich mit ihren lähmenden Möglichkeiten in den Ruhestand kränkeln. Für die master consumers kommt der Ruhestand wie ein goldener Esel daher, und für den Figuranten fühlt sich dieser wie ein unfertiges Bild an, auf dem die Farben fehlen. Etwa wie in einer einer Komödie in zwei Akten, deren Inhalt die geteilte Lebenskunst enthüllt.

Die Akteure gehen auf die Grand Tour, veranstalten Soireen, besuchen Theater, Museen und flanieren auf Ihrer Sommerresidenz. Die Komparsen lassen sich von einem Leithammel führen, der sie  mit Wein, Weib und Gesang mit anschließbaren Ergebnissen über das Stadtfest führt. Ist man Wiederholungstäter, wird sich dieser Diskurs früher oder später wie ein leeres Land anfühlen. Dem zwangsweise eingeschlagenen Kurs fehlt die Struktur, die es ausmacht, daraus einen Lebenssinn abzuleiten. Das Schnattern und Ratschen  auf flüchtiger Ebene wird zum Betrübnis, wenn wir unser Dasein zukünftig nicht ersprießlicher gestalten. Der im Berufsleben  entbehrliche Luxus „Hobby“ darf jetzt als Hefeteig im künstlerischen Vergnügen erscheinen, und kann außerdem zu einem gesunden Begleiter im Alltag werden.

Der Mehrheit, der im Ruhestand lebenden Menschen fehlt es oft an Enthusiasmus, noch einmal eine Illusion gestalterisch umzusetzen. Geht nicht, kann nicht, fließen wie ein Fluss in das offene Meer. Ich habe viele Menschen kennen gelernt, denen die Freude auf Relation aufgrund facettenreicher negativer Erfahrung genommen wurde und deshalb keine Offenheit mehr zeigen.  Hund und Katze werden zum einzigen  Verbindungsglied zur Außenwelt.

Erschaffen Sie ein Projekt, über dieses die Nachwelt noch spricht, inspirieren, kritisieren und irritieren Sie.  Schließen Sie sich einer Ateliergemeinschaft an, schreiben Sie ein Leben auf’s Papier, schlagen Sie eine Brücke zwischen jetzt und später. Verschenken Sie keine Zeit, präsentieren Sie ihre eigene unverwechselbare Art und pflegen Sie Ihre Ansprüche. Aber bleiben Sie auf jeden Fall kritisch und produktiv.  Die intelligente Kreativität schlägt eine Brücke zwischen unserer linken Hirnhälfte, der Heimat des nüchternen Verstands, und der gegenüberliegenden Seite, die als Quelle von Gefühlen und Ideen gilt.

Der Vorteil ist, dass immer mehr Ruheständler alterslos werden, also nicht durchsichtig mit welkem Blick, sondern wahrnehmbar, vorzeigbar. Das Aussterben wird vertagt und wir übertreiben es nicht mehr mit der Wichtigkeit. Wir wollen niemand mehr zerlegen, höchstens mal ein Huhn.

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