Wenn Nähe flüchtig wird

Josefine, so will ich sie nennen, lebt mit ihrem Mann jetzt in Hamburg. Sie ist eine der Frauen, die vom Glück und von der Natur begünstigt wurde.  Eine gute Wahl, die der Ehemann getroffen hat. Auch ihr Plan ging auf. Nach zwei erfolgreichen Abschlüssen hat sie sich rasch im Beruf bewiesen und dabei einen rasanten Aufstieg geschafft. Mit diesem Sicherheitsgefühl bekam sie ihr erstes Kind. Es war doch alles fertig…. Erfolgreicher Mann, Haus am Wolfgangsee und alle zur Verfügung stehenden Mittel, die das Leben favorisiert. Die Konsequenz, sie blieb erst einmal zu Hause und aus dem „erst“, wurden es viele viele Jahre. Sie kümmerte sich um ihren Mann, um Haus, Hof und Garten. Nach außen lebten sie eine glückliche Familie vor, nach innen kehrte mit den Jahren eine Stille ein, die man Tiefpunkt nennen könnte. Ihr Mann kämpfte um das Überleben seiner Firma, fühlte sich zunehmend angespannt und war nur noch selten zu Hause. Das große Glück befand sich im Schatten des Alltages. Klitzekleine Nichtigkeiten riefen Stimmungsschwankungen auf das Gesamtprojekt, bis dann irgendwann der Entschluss gefasst wurde…. Wir ziehen um! Die harte Realität fanden beide abseits des Zentrums in einer Penthouse-Wohnung mit Aussicht auf die grauen Dächer, die wenig von der pulsierenden Stadt freigibt, in der üblicherweise  Unterhaltung, Abwechslung, Ablenkung angesagt ist. Josefine hinterlässt einen vermögenden und einen kultivierten  Eindruck, der eine unschlagbare Vorstellung in Szene setzt. Aber ihre unübertroffene Art, Offenheit und Liebenswürdigkeit zu zeigen, macht Sie über alle Maßen zu einer ernstzunehmenden Persönlichkeit. Sie weiß auch, dass das Potenzial der Frauen von der  Wirtschaft nicht ausgeschöpft wird und dass sie im schlimmsten Falle aus Verzweiflung bei einem Ehrenamt landen.

Ihre Erfolgsphase ist mit dem Umzug Vergangenheit geworden. Sie hat  sich für eine Tür entschieden, hinter der sie sich zu Hause als amtierende Fulltime-Managerin für Zuverlässigkeit entwickelt hat. Stunden, Tage, Monate der gleiche Rhythmus in einem goldenen Käfig, der auf die Seele drückt. Je mehr Jahre sich in ihrem Leben aneinanderreihen, umso lauter werden ihre inneren Stimmen. Sie drängen zum Nachdenken. Eine Episode, die für das Dilemma vieler  Frauen steht, deren Männer eine Machtposition besitzen. Freunde, Bekannte und der Rest der Familie wohnen einen Tag von Hamburg entfernt. Nur in gelegentlichen Telefonaten spürt sie noch das Leben von damals.  Die Kontinuität wird zum Alptraum aus dem sie ausbrechen möchte. Und eine Frage lässt sie nicht mehr los. Was würde ich tun, wenn ich könnte? Etwas zu finden, das einen wirklich begeistert, das den eigenen Fähigkeiten entspricht, in einer Sache, die man macht, aufgeht und sich daraus der „Flow“ entwickelt. Am Ende unserer Unterhaltung neigt sie dann doch dazu, ihre Melancholie zu repertoiren. Denn dass, was sie ist, ist sie nicht mehr.

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