Folge dem Flow

Es musste an dem Tag passiert sein,  als dieses Unwetter nachts grau und düster über diese Stadt zog. Bilder entstanden, die einen Endsatz erzeugten, der vorher noch nicht ganz vollkommen war. In dieser Nacht bekam ich Albträume, wachte mehrmals schweißgebadet auf und plötzlich wusste ich es. Ich spürte sie bereits seit einiger Zeit, die hinreichenden Fragmente, die sich jetzt zu einem Ganzen entwickelten. Während meine Gedanken inkludierten, fühlte ich weder die Müdigkeit noch die Niedergeschlagenheit, die sich normalerweise nach einer schlaflosen Nacht in den Tag hinein mischten. Die vergangenen Dialoge behielten bis zum Frühstück ihre Relevanz und reflektierten sie wie im Zeitraffer, als hätten die Divertimentos erst gestern stattgefunden. Vielleicht hauchte der Kaffee mir mehr Leben ein oder aber war es der mächtigen Einfluss einer folgenden Gedankenfülle und emotionaler Tiefe, plötzlich war nichts mehr so wie es war. Kein temporäres unwohles Gefühl, kein Missbehagen, keine  Beklommenheit, die sich  nach lähmenden  Tagen einstellt, vor mir stand eine Lernaufgabe.  Nach meiner Erfahrung aber, verlaufen Veränderungen ohnehin nicht so, wie sie geplant sind. Jedes Mal knickte ich bei aufkommenden Stimmungsschwankungen wieder ein, besonders dann, wenn ich den Haltepunkt meines hiesigen Lebens verloren hatte und die Essenz meiner Vernunft ausgespült war, wenn gute und schöne Gedanken wie zwei Waisenkinder verlassen dastanden, statt daß sie in eine Liebesflamme zusammenlodern und sich  einem  Grundgedanken nähern. Diesmal durfte ich keine Sentimentalitäten, die in einsamen Nächten unweigerlich dazu führen würden, angestaute Aggressionen,  die mit einem schmerzerfüllten Heulen, das tief in der Kehle begann und sich dann qualvoll Bahn bricht, zulassen. Es war an der Zeit, meine eigenen Befindlichkeiten richtig zu positionieren und emotionale Übergriffe abzuwehren.  Aber dazu musste ich erst einmal bereit sein, mit mir selbst imaginär zu verhandeln, es zu wollen, das, was mich in Folge immer wieder wie eine wuchtige Last erdrückte. Bislang verschwendete ich als Lückenfüller fast mein gesamtes Budget,  nur  um jemanden einen Gefallen zu tun, der gerade unter physischen Stress litt, sein Geschrei nach Aufmerksamkeit immer lauter wurde, sich einsam und verlassen fühlte und kam mir danach jedes Mal selbst wie ein exorbitanter Idiot vor. Totgeglaubte flogen wie Heuschreckenschwärme auf mich zu, krochen bis auf den Grund meiner heißen Kochtöpfe was schon an Selbstverstümmelung grenzte und fanden es außerordentlich vorteilhaft, sich meiner Ressourcen zu bedienen. Es waren nicht nur die kleinen Annehmlichkeiten die ich ihnen bot, es war mehr, es waren Urlaube, Tagesfahrten, Übernachtungen auf meinem Sofa und in meinem Bett.  Abende in teuren Restaurants und leeren Kneipen, für deren gemeinsame Tafel ich mich abermals verpflichtet fühlte. Die Auswirkungen ihres Planes bekam ich später mit voller Wucht zu spüren. Verglichen mit den höfischen Schmeicheleien übertrafen sie diese um Meilen, was nicht hieß, dass sie auch so gemeint waren. Sowie die Worte ihren Mund verließen, so erstarben sie auch schon in den darauffolgenden Wochen. Es war schließlich nur die Neugier, der vielleicht durchdringendste Charakterzug jener Gattung Spezies, die dem gedankenlosen Materialismus dieser Gesellschaft noch nicht abgeschworen hatte.

Manchmal war ich meiner zermürbenden Fehlentscheidungen so überdrüssig, wie auch die verdammte Einsamkeit, wusste aber keinen Ausweg. Sie konnte manchmal ganz schön am Herzen nagen und so weh tun, als hätte man eine Kerbe hineingeschlagen. Ich hatte alles versucht, bin auf einer Mülltonne durch die Stadt gekullert, habe mit den Fingern ein vor Fett triefendes Brathuhn am Stand nieder gemacht, Dosenbier auf der Straße mit verrückten Gestalten getrunken, gehofft,  in einer rauchigen Kneipe Anschluss zu finden und in einem Künstlercafé nach einem ausgeflippten Typen gesucht, der mit mir den Tag verbringt. Google strapaziert und Nachbarn gefragt, mir in Cafés illustre Gesellschaften herbeigewünscht und mich bei Partner & Co als zahlendes Mitglied zum Schöps gemacht. Ich hatte mich um Freundschaften bemüht, großzügige Geschenke mitgebracht und bei all den wenigen Einladungen stets einen Blumenstrauß geschenkt.

Schon ganz am Anfang meines Singledaseins vor …zig Jahren, wurde die Situation fassbarer denn je, die Vermutung,  dass es nie wieder so sein wird, wie es einmal war, die verdammte Normalität. Und trotzdem weigerte sich mein Herz, es anstandslos hinzunehmen. Der Wunsch war nie ganz gestorben, er war nur halbtot. Doch er blieb ungreifbar, ein Fotonegativ, das für immer schwarz und konturlos in der Entwicklerflüssigkeit eines Fotografen schwimmen würde.

Irgendwann zu einer mittäglichen Uhrzeit nach diesem furchtbaren Gewitter, löschte ich mein Profil auf Facebook, Whatsapp,  und die übrigen lockeren Kontakte fielen meiner jungfräulichen Leidenschaft, der Novellierung,  zum Opfer. Die Sonnenstrahlen, die am nächsten Morgen in das Zimmer fielen, saugten meine Unzufriedenheit auf, forderten mich ein für allemal auf, ihnen zu folgen und letztendlich eine Entscheidung zu treffen. Noch nie zuvor erlebte ich eine solche Dynamik, ich war eins mit allem, wurde ein Teil des Ganzen, gehörte in dieses Ganze, so wie dies Ganze auch in mir war. Wie vorteilhaft für mich, nachdem ich das Vorzüglichste erkannte habe, nicht nur mit den äußeren Ohren, sondern mit Geist und Seele, zukünftig meinen Gedankenprinzipien dort zu folgen und zu annektieren, wo nicht, wie hier ein einziger Baum in einer bedrückenden Bunkerlandschaft steht von dem ich die Früchte der Erkenntnis  pflücken kann, sondern ein ganzer Garten voll blühender und fruchttragender Bäume.

Ich hatte wieder ein Ziel, mein festgeschriebenes Ziel, denn alles, was ich in dieser Zeit gelernt habe ist, die Eigenarten der Gattung Mensch nie zu unterschätzen. Denn die schien mit jedem Tag eigenartiger zu werden. Ich gehe, wonach der Sinn mich lenkt, ich fahre nicht mehr im Kreis, ich fahre geradeaus und mache nur noch Geschäfte mit dem Mann im Mond, wenn er denn gerade in der Nähe ist. Der Spiegel ist nicht mehr mein Feind, vor dem ich mich früher im Charakter einer witzigen Figur gesehen habe. Ich genüge mir selbst und habe den Abstand gewonnen, den man braucht, um ein selbstbestimmtes gutes Leben zu führen, in meiner Arbeit, auf Reisen und in der Ruhe.

Anna P.  (Luzern)

1 Comment

  • Stephanie Rittanie Mai 30, 2019 at 10:34 am

    Liebe Anna, ich bin beeindruckt über so viel Entscheidungskraft, die Dir viel Mut abverlangt.
    Dein Text wirkt wie ein Ruf, ein plötzliches Verlangen in der Magengrube, einem anderen Fahrplan zu folgen, wenn nichts mehr so ist, wie es ist. Man muss nicht jeden eigenen überraschenden Impuls verstehen, man sollte ihm ganz einfach folgen, und das ist wahrscheinlich gerade das Schönste daran.

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