Trends und Zukunftschancen im Schuhkarton Wohnung

Er ist wie ein Frosch, der mit seinen Koffern und dem Einkaufsgut in seine Zweieinhalb-Zimmerwohnung bis in die obere Etage hüpft.  Niemandem ist er im Haus begegnet und er will es auch nicht mehr, die Menschen sprechen kein Deutsch und Türkisch möchte er nicht lernen. Gerade hat er seine Behausung  bezogen und nicht alles, was er vorher sein Eigen nannte, ist ihm geblieben. Nur ein Bett, ein Schrank, ein Tisch,  etwas Kleinkram, eine Waschmaschine, eine Lampe und ein paar Bücher. Eine moderne  Küchenzeile ist im Wohnzimmer eingebaut, sie besteht aus drei Elementen, aus einem Block zum Kochen, einem Hängeschrank und einem Kühlschrank mit schmalem Gefrierfach, in dem sich zwei alte Schachteln streiten, wer hier überwintern darf. Der Mülleimer im unteren Schrank trägt gerade mal 2-Liter-Bremsflüssigeit. Wie soll er Bio und Papier, Abfall und Plastik trennen? Der Erker im Wohnzimmer ist das halbe Zimmer…. dort ist jetzt ein Regal an der Wand befestigt und ein Drehstuhl sorgt für etwas Bewegungsfreiheit, wenn er telefoniert. Für mehr Mobiliar reicht die Fläche nicht aus. Der Flur dient als Abstellraum, in dem die Schuhe, das Bügelbrett, die Waschmaschine, der Staubsauger und der Wäschetrockner untergebracht sind. Aus dem eher handtuchschmalen Fenster, an der Nordseite gelegen,  schaut er den Nachbarn beim Toilettengang zu. Durch die bodentiefen geöffneten Fenster auf der Westseite, dringt der Verkehrslärm von der Hauptstraße durch das Zimmer.  Der Hinterhof schließt an einen Kindergarten an, der zusätzlich durch das  unaufhörliche Kreischen, Schreien und Brüllen für eine zusätzliche Beeinträchtigung seiner  Lebensqualität sorgt. Der Frosch gibt sich zufrieden, er wohnt mitten in der Stadt. Fußläufig zur Brücke, die die neue Altstadt von der „Alten“ trennt. Der Trend geht zum Schlaf-Wohnraum, in diesem  der Fernseher vor dem Bett auf dem Schreibtisch steht. Das Haus, das Auto musste er der Frau mit den Kindern überlassen, für ihn reicht jetzt das alte Fahrrad, welches im Hausflur steht. Wie lange noch, das weiß er nicht.  Morgen wird er Sechzig.

Er hat stark abgenommen und trägt seit der Trennung einen Drei-Tage-Bart, so perfekt wie früher sieht er nicht mehr aus. Sein Geld reicht nur noch für das Nötigste und ab und an mal für ein Glas Wein in der Stadt über der Brücke im Bazar.  Bekanntschaften, weit gefehlt, die Leute suchen schnell das Weite, wenn er von seinem Schicksal erzählt und dass er selbständig, platt und pleite ist, für

Haus, Frau und Kinder noch aufkommen muss…. Er hat früh geheiratet, aber wer denkt schon an den Verfall, wenn man nicht richtig gucken kann. Er hat keine Pläne mehr, er ist ausgelaugt, fertig. Das ist keine Frage seiner Hormone, das ist ein Dauerzustand.  Das ist für ihn schlimm. Er will nur noch Fahrrad fahren, mal Eis essen gehen und e

twas menscheln. Seine Arbeit besteht fast ausschließlich aus unersprießlichem Warten auf Godot und dem Philosophieren nach dem Tod und ob er senkrecht oder waagerecht begraben werden will.  Sein Einkaufszettel ist  eine einfache Liste, auf dieser steht nur Wein, Nudeln und Klopapier geschrieben. Heute sind die Männer keine Jäger mehr, sie erobern nicht mehr, so wie es früher war. Heute warten sie, bis ihnen das Wild schon tot vor die Füße fällt und wundern sich, dass es nicht mehr lebendig ist. Und wer  schon ein paar Tage länger auf der Welt ist, der weiß, dass Idee und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen.

Die Frage wird für immer unbeantwortet bleiben: „War er schon vorher fertig, oder ist er grad dabei?“ Ein modernes Einzelschicksal oder ein altes Männermärchen?

 

 

 

 

 

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